Wissenschaftliche Erkenntnis hat ihren Ursprung oft in genauer Beobachtung der Umwelt – und so fußt die Entdeckung der mikrobiellen Abwehrkräfte der Moose auf der Wahrnehmung, dass Laub- und
Lebermoose trotz ihrer Zartheit und leichten Erreichbarkeit als Bodenbesiedler keine Fressfeinde besitzen und so gut wie keine Krankheiten aufweisen. Wo keine äußere Abwehr besteht, muss eine
innere existieren und diverse Forschergruppen fanden unabhängig voneinander heraus:
Moose verfügen über ein Konglomerat keimtötender und fraßhemmender Substanzen, unter denen die sogenannten Oxylipine eine zentrale Rolle spielen sollen (4). Das gilt sowohl für Laub- als auch für
Lebermoose, wobei letztere i.d. Regel stärkere Abwehrkräfte erkennen lassen
Was leisten Moos-Extrakte?
Als wegweisende Publikation kann eine Arbeit von Frahm und Kirchhoff aus dem Jahr 2002 (2) bezeichnet werden, in welcher neben eigenen Versuchsergebnissen auch Resultate aus der
internationalen Bryophyten-Forschung beleuchtet werden:
Wissenschaftler aus verschiedenen Kontinenten stellten Laborexperimente und Freilanduntersuchungen mit Extrakten aus mehreren Laub- und Lebermoosarten an - als Quintessenz kann man festhalten,
dass es v.a. zwei Wirkungsbereiche gibt, in denen diese Extrakte Bemerkenswertes leisten: Die Verhinderung von Pilzbefall und
die Abschreckung fressfreudiger Schnecken.
Sehr gründlich wurden die fraßhemmenden Eigenschaften der Moose untersucht – es liegen hierfür bereits aus den 70er Jahren Ergebnisse aus Japan und England vor (1), (3).
Man kann aus all diesen Studien schlussfolgern, dass Moose eine Vielzahl von Einzelsubstanzen enthalten, welche potentielle Fressfeinde abschrecken – neben den erwähnten Oxylipinen auch
Sesquiterpen und Plagiochilin A, doch darf man davon ausgehen, dass die Erfolgsstrategie der Moose gerade in der Kombination einer Vielzahl von Wirkstoffen liegt, wodurch nicht nur Schnecken,
sondern auch Insekten oder höhere Tiere abgeschreckt werden. So empfehlen auch Frahm und Kirchhoff, für wissenschaftliche Anwendungen nicht mit isolierten Einzelsubstanzen zu arbeiten, sondern
mit dem vollen Wirkkomplex, um sich synergistische Effekte zunutze zu machen (2).
Moose und Schnecken
Entsprechend verwendeten sie in ihren eigenen Laborversuchen ausschließlich Extrakte aus der ganzen Moospflanze: So wurden in ihrem bahnbrechenden Experiment zur Wirkung von Moosen auf
Schneckenfraß alkoholische Auszüge eines Laubmooses (Neckera crispa) und eines Lebermooses (Porella obtusata) hergestellt und in unterschiedlichen Konzentrationen auf Eisbergsalat-Blätter
gesprüht, diese wiederum über Nacht Exemplaren von Arion lusitanius (Spanische Wegschnecke) vorgesetzt.
Ohne auf die Details eingehen zu wollen, kann man als Kern-Ergebnis festhalten, dass beide Extrakte eine abschreckende Wirkung auf die Nacktschnecken ausübten, das Lebermoos sich jedoch als weit
wirkungsvoller erwies: Schon bei einer Konzentration von 0,25 % wurde ein absoluter Fraßschutz erreicht, das Laubmoos zeigte erst bei 0,5% eine teilweise Wirkung – vollständiger Fraßschutz wurde
überhaupt nicht erreicht.
Eine Anwendung im Freiland bedeutet natürlich eine zusätzliche Erschwernis durch Witterungseinflüsse (Regen, UV-Licht), auch darf man die Variabilität der Schnecken nicht außer Acht lassen – die
Toleranz gegenüber abschreckenden Substanzen kann je nach Art und je nach Individuum sehr stark vom Durchschnitt abweichen!
- Fortsetzung folgt -
Quellennachweis:
(1) ANDO H. & MATSUO A., 1982 - Applied Bryology. Advances in Bryology 2: 133-224.
(2) FRAHM, J-P. & KIRCHHOFF, K., 2002 – Antifeeding effects of bryophyte extracts from Neckera crispa and Porella obtusata against the slug Arion lusitanicus in: Cryptogamie, Bryologie, 23
(3): 271-275
(3) JENNINGS T.J. & BARKHAM J.P., 1975 - Food of slugs in mixed deciduous woodland. Oikos 26: 211-231
(4) Pohnert, G. & Rempt, M., 2010, Neue acetylenische Oxylipine mit fraßhemmenden Eigenschaften gegen herbivore Schnecken aus dem Moos Dicranum scoparium, Angew. Chemie, 122